Bewusster Abschied – Mit allen Sinnen Abschied nehmen 

Es gibt wenige Dinge in einem Menschenleben, die so wehtun, wie einen geliebten Menschen zu verlieren. 

Umso belastender ist, wenn uns im nächsten Moment eine Welle organisatorischer Entscheidungen überrollt. Eine Trauerfeier planen, die Beisetzung annoncieren und die herrenlosen Pflanzen im alten Garten gießen – was dabei fehlt, ist die Gelegenheit, bewusst und mit allen Sinnen Abschied zu nehmen.  

 
Was bedeutet bewusster Abschied mit allen Sinnen? 

Noch in den 1950er-Jahren war es Gang und Gäbe, geliebte Menschen bis zu ihrer Beisetzung unmittelbar zu begleiten. Der Verstorbene wurde in der Gemeinde bis zur Beerdigung aufgebahrt, sei es in einem Trauerhaus oder schlicht Zuhause. Heute ist dieser aktive, bewusste Abschied selten geworden. Die körperliche Nähe zu einem verstorbenen Menschen, den man so sehr geliebt hat, kann schließlich die Angst auslösen, im Anschluss nur noch mehr Trauer oder Hilflosigkeit zu empfinden. Der Gedanke an die bewusste Begegnung oder gar Berührung des so vertrauten, aber nun auch gänzlich veränderten Körpers erscheint unfassbar. Während Ärzte, Pflegepersonal oder Seelsorger routiniert und pietätvoll damit umgehen, einen verstorbenen Menschen zu betten, seine Augen zu schließen und seinen kalten Körper zu berühren, ist uns diese bewusste Begegnung oft eine beängstigende Vorstellung.

 
Bewusster Abschied als bewusste Zuwendung zum Leben 

Es gibt keinen Leitfaden, wie sich Menschen von ihren Angehörigen am besten verabschieden, wie sie ihre Trauer bewältigen können oder gar sollten. Allerdings bleibt die Notwendigkeit, die Trauer zuzulassen – um verstehen zu lernen, dass der Tod wirklich eingetreten und nun schmerzliche Realität ist. Unseren geliebten Menschen nicht in ein Bestattungshaus „abzugeben“, kann uns alles abverlangen. Mit allen Sinnen Abschied zu nehmen, erbittet aber vielleicht genau das. Die fast vergessene Tradition, einen verstorbenen Menschen zu versorgen, ihm ein sicheres, letztes Geleit zu geben, muss also keine untragbare Bürde sein – sondern kann eine Chance werden. Wir können uns diesen alten Brauches erinnern, und eine Erfahrung für unsere Seele schaffen, die durch die Wand der Trauer dringt. Solange der Körper des Verstorbenen noch physisch bei uns ist, können wir in seiner Gegenwart erzählen, weinen, wütend sein, lachen und berühren.  
 
Es gibt auch heute noch Bestattungsdienste, die es den Angehörigen ermöglichen, diese bewusste Begleitung wahr- und anzunehmen. Das muss nicht für jede und jeden der richtige Weg sein. Machen Sie sich einfach bewusst, dass es auch in der Hektik dieses neuen Jahrtausends immer noch die Einladung gibt, schweren Schicksalsschlägen anders zu begegnen. Wir können daraus in Dankbarkeit für die gemeinsam erlebte Zeit hervorzugehen –  und uns schließlich in Verbindung mit dem Verstorbenen wieder dem Leben zuwenden.