Manch einer empfindet Beklommenheit beim Gedanken an die eigene Sterblichkeit – andere schätzen Friedhöfe dagegen als
gepflegte Rückzugsorte inmitten der Stadt. Diese Ambivalenz verrät viel über die deutsche Friedhofskultur: Ihr kann ein Schrecken ebenso wie heilsames Potenzial innewohnen. Friedhöfe erzählen mit ihrer stillen Aura und pietätvollen Bildhauerkunst schließlich von Menschen, die ihre letzte Ruhe gefunden haben – und spenden damit auch Trost für alle, die zurückgeblieben sind.
Die Entwicklung einer Erinnerungskultur
Im Mittelpunkt der traditionellen Friedhofskultur steht die würdevolle Bestattung verstorbener Menschen. Damit lässt sie sich bis in die vorchristliche Zeit zurückverfolgen: Bereits in der Steinzeit wurden erste kulturelle Bestattungen in den sozialen Gemeinschaften vorgenommen. Das heute bekannte Bestattungswesen hat seinen Ursprung allerdings in den frühen Hochkulturen: Das aufkommende Christentum übernahm
beispielsweise einige Elemente der römischen Beisetzungstraditionen.
In Deutschland waren christliche Friedhöfe stets an den Kirchhof angeschlossen; erst im 16. Jahrhundert begann eine Verlagerung der Grabstätten an die Peripherie der Städte. Mit der Zeit entwickelte sich dort ein regelrechter Gräberkult, dem der Wunsch nach sozialer Distinktion zugrunde lag. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich dann demokratischere Vorstellungen durch: Die Friedhofsreformer verfolgten die Idee von der Gleichheit aller Menschen auch im Tode – und trugen damit zum Entstehen der ersten Friedhofssatzungen bei.
Die Idee einheitlicher Grabstätten wurde allerdings bald von den endlosen Grabfeldern der Weltkriegs-Gefallenen auf traurige Weise übertroffen. Man sehnte sich wieder nach persönlicher Gestaltungsfreiheit in der Friedhofskultur. Heute lassen sich daher beim Gang über die Friedhöfe auch einige Überraschungen entdecken: Neben christlichen Symbolen erzählen gemeißelte Fußbälle, Musikinstrumente
oder Kindheitshelden von der individuellen Lebenswelt der Verstorbenen.
1963 hob die katholische Kirche ihr Verbot der Feuerbestattung auf. Die oberirdische Urnenbestattung wird seitdem immer beliebter. Sie erfüllt den lebenspraktischen Wunsch nach einer pflegeleichten Grabstätte, begegnet aber auch dem tief empfundenen
Bedürfnis nach einem festen Ort der Trauer und Zwiesprache.
Neben traditionellen Reihen- und Familiengräbern gehören daher auch Urnenwände sowie Baumgruppen für Waldbestattungen
zum aktuellen Bild deutscher Friedhöfe.
Potenzial als Verbindungsstätte
Friedhöfe lassen die Hoffnung auf eine Rettung der Seelen und ein Wiedersehen nach dem Tod kraftvoll aufscheinen. Sie schenken ihre heilsame Wirkung damit Trauernden ebenso wie Ruhesuchenden.
Je nahbarer sie sich dabei auch den Lebenden zeigen, desto eher werden sie zur Begegnungs- und Verbindungsstätte inmitten der Gesellschaft.