Fünf Mythen der Trauer und Trauerbewältigung

Trauer und Trauerbewältigung gehörten lange zu den gesellschaftlichen Tabuthemen – es schien für die Trauernden ohnehin am besten zu sein, nicht über den Verlust zu sprechen, sondern schnellstmöglich in das Leben zurückzukehren, das sie vor dem Verlust führten. Umso wichtiger ist es nun, diese und andere gesellschaftlich verankerte Meinungen einer Prüfung zu unterziehen – denn unter dem Mantel des „pietätvollen Schweigens“ haben sich einige Ansichten verselbstständigt.

Mythos 1: Der Trauerprozess verläuft in Phasen

Es gibt keine Verhaltensnormen dafür, wie sich Trauernde zu einem bestimmten Zeitpunkt fühlen – oder fühlen sollten. Egal, wann und wie ein geliebter Mensch diese Welt verlassen muss – es ist immer zu früh, sein Verlust wiegt immer schwer, und die Reaktionen auf sein Fehlen sind vollkommen individuell. Wut, Angst, Verzweiflung, Erleichterung, Ohnmacht – Trauernde werden häufig von wechselnden, sich widerstreitenden Gefühlen geschüttelt, und es kommt zu einer Vor- und Zurückbewegung zwischen den verschiedenen Gefühlszuständen. Als Angehöriger eines Trauernden orientieren Sie Ihre Hilfsangebote daher am besten gar nicht erst an einem „Phasenmodell“ – sondern achten bewusst auf die Gefühle und Bedürfnisse, die den Trauenden jetzt gerade beschäftigen.

Mythos 2: Der Verstorbene muss emotional losgelassen werden

Früher dachte man, es sei schädlich für das Seelenheil, einem geliebten Menschen über seinen Tod hinaus nah zu sein. Heute weiß man: Das Bedürfnis, weiterhin emotional mit dem Verstorbenen verbunden zu bleiben, ist ganz natürlich. Rituale der Verbundenheit können sogar heilsam wirken: Das kann beispielsweise die liebevolle Pflege der Grabstätte sein, oder ein jährliches Treffen der Angehörigen am Geburts- oder Todestag. Bei aller Verbundenheit sollte der Beziehung irgendwann jedoch eine neue Qualität gegeben werden: Die gemeinsam erlebte Zeit kann dann als Bestandteil des eigenen Lebens anerkannt werden – genauso wie das Hier und Jetzt.

Mythos 3: Trauer muss sichtbar werden

Ein Verlust kennt keine normierte Gefühlsreaktion. Manchmal bleibt nach dem Verlust nur eine taube Leere zurück, die sich erst nach einiger Zeit mit Gefühlen füllt. Wenn sich ein Trauernder also nicht so betroffen fühlt, wie er glaubt, sein zu müssen – ist rein gar nichts verkehrt mit ihm. Gefühle bewusst zu erleben und auch auszuleben, setzt eine Art innere Ausgeglichenheit voraus – und Trauernden ist diese Fähigkeit durch die Vielzahl emotional und kognitiv widerstreitender Prozesse nicht immer gleich zugänglich. Das Fehlen einer „richtigen“ Trauerreaktion ist daher kein Alarmzeichen – und erst recht kein pathologischer Zustand.

Mythos 4: Trauerzeit hat ein Haltbarkeitsdatum

Eines zeigt uns das sogenannte „Trauerjahr“: Trauer kann ein langer Prozess sein, der sich nicht innerhalb einiger Wochen abhandeln lässt. Dennoch ist das „Trauerjahr“ kein empirisch belegter Zeitraum: Denn Trauer ist nunmal individuell. War der Trauernde dem Verstorbenen sehr verbunden, kann sich die Trauerarbeit über Jahre oder Jahrzehnte erstrecken.

Mythos 5: Ohne Trauerarbeit keine Besserung

Bewusst zu trauern, ist in den meisten Fällen eine gute und heilsame Strategie der Bewältigung. Die ständige Konfrontation mit der Trauer kann aber ebenso kontraproduktiv sein, wie ein stetiges Wegschieben der Trauer. Ablenkung, Zerstreuung und schöne Momente können also ebenso wichtige Bestandteile der Trauerarbeit sein, wie das bewusste Annehmen des Verlustes – und all der Gefühle, die damit einhergehen.